Fast jeder Mensch hat Erfahrungen mit dem Einsatz klassischer Naturheilverfahren zur Behandlung von Schmerzen:
Wenn Sie sich den Ellbogen anstoßen, reiben Sie den Arm und überdecken somit den elektrisierenden Nervenschmerz mit Druck- und Berührungsreizen, die im Gehirn den Schmerzreiz abschwächen oder auslöschen. Das ist ein Prinzip der Elektrotherapie: der Stromimpuls mindert den Schmerzreiz, verbessert die Durchblutung und fördert so den Abbau schmerzerhaltender Stoffwechselprodukte und Überträgerstoffe. Viele haben zur Elektrotherapie ein TENS-Gerät (transkutan elektrische Nervenstimulation) gegen chronischen Arthroseschmerz im Knie oder Rücken gekauft oder bekommen oder lassen sich Strom in der Physiotherapie verabreichen.
Wenn Sie sich die Finger verbrannt haben, halten sie die Hand unter kaltes Wasser = Hydrotherapie zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung.
Quarkwickel zum Abschwellen bei Verstauchung oder Entzündungen und Wadenwickel zum Fiebersenken sind naturheilkundliches Allgemeinwissen und genau so wirksam wie Ibuprofen oder andere Medikamente dieser Wirkgruppe, nur frei von deren Nebenwirkungen!
Haben Sie Kopfschmerzen, reiben oder drücken Sie oft bestimmte Stellen zwischen den Augenbrauen, den Schläfen oder im Nacken. Das sind Akupunkturpunkte (Zanzhu, Yintang, Tongziliao, Taiyang, Tianzhu), die Sie stimulieren und somit unbewusst selbst Akupressur anwenden.
"Wenn ich depressiv bin, sind die Schmerzen auch schlimmer" - oder wie hängt das zusammen?
Die Zunahme der wahrgenommenen Schmerzintensität in depressiven Episoden liegt zum einen an der Verarbeitung von Schmerz und Leid im Gehirn. Zum anderen aber auch an der permanenten Anspannung in Muskeln und Sehnen, wenn man ständig um negative Gedanken kreist. Dass Depressionen nach Spaziergängen in der Sonne und frischer Luft (= Bewegungstherapie, Klimatherapie) besser werden ist genauso erfahrbar wie die entspannende Wirkung von Waldspaziergängen, schon vor dem Kult des „Waldbadens“ (Shinrin Yoku). Diese antidepressiven Wirkungen sind mittlerweile auch durch Studien gut belegt.
Was Bewegung mit Angst und Adrenalin zu tun hat
Angst erzeugt Stress, Stress setzt Adrenalin im Körper frei. Dessen physiologische Wirkung mit Beschleunigung der Herzfrequenz, Erhöhung des Blutdrucks, verbesserter Durchblutung des Kopfes und der Muskeln dient der Angriff- oder Fluchtvorbereitung. Das läuft in unserem Körper unbewusst und automatisch ab, wenn wir Angst haben. Diese normalen physiologischen Vorgänge werden von Patient*innen oft als krankhafte Symptome gewertet und verstärken dann die Ängste. Adrenalin kann am schnellsten durch Muskelarbeit abgebaut werden und viele Ängste lassen sich in der Gemeinschaft leichter überwinden.
Daher ist Bewegungstherapie allein oder in der Gruppe (Nordic walking, Schwimmen, etc.) oder noch besser: Bewegung in Verbindung mit Entspannungsübung wie Yoga, Qigong oder Tai Chi, eine ideale Therapie gegen Angst und Depressionen. Zur Vorbeugung oder bei leichten Episoden kann dies schon allein, ohne medikamentöse Behandlung ausreichen. Bei schwerer Störung ist Bewegung zur Ergänzung der medikamentösen Therapie sehr wirksam sein.
Warum haben Naturheilverfahren so einen schlechten Ruf?
Dies allein mit der Hexenverbrennung zu erklären, oder Verschwörungstheorien der Pharmaindustrie zu ersinnen, ist populistisch und ungerechtfertigt. Natürlich ist während der Inquisition im Mittelalter viel gewachsenes, naturheilkundliches Wissen der Völker verloren gegangen, auch wenn sich viele in Klöstern und Universitäten um dessen Erhalt bemüht haben. Bei den überlieferten Methoden war aber auch viel medizinischer Humbug dabei, wie man in medizinhistorischen Museen besichtigen kann.
Mit der Aufklärung hat die systematisch wissenschaftliche Untersuchung und Überprüfung allen Wissens und sichtbarer Phänomene begonnen. Somit wurden auch die medizinischen Behandlungsmethoden beforscht – zum Glück, sonst wäre z.B. der Aderlass noch immer das Allheilmittel der Medizin. Aus der Analytik und Optimierung der wirksamen Substanzen in Pflanzen wie z.B. der Weidenrinde entstand die Acetylsalizylsäure, die als Aspirin® oder ASS® bis heute wirksam zur Behandlung von Herzinfarkten oder Prophylaxe von Schlaganfällen eingenommen wird. Die pharmakologische Forschung hat so im Laufe der Jahrhunderte wirksame Medikamente entwickelt, auf die heute niemand verzichten will.
Wirkt das denn?
Dies bedeutet aber nicht, dass alle Naturheilverfahren unwirksam sind. Die Wirksamkeit eines Medikaments oder Behandlungsverfahrens wird von Expertengremien durch Beurteilung aller Studien, die wissenschaftliche Qualitätskriterien erfüllen, mit einem „Grad der Evidenz“ bewertet.
Die optimale Studienqualität wird dann erreicht, wenn:
Die Patienten*innen randomisiert d. h. zufällig den Behandlungs- oder Kontrollgruppen zugeteilt wurden,
Die Studien prospektiv (erst zukünftig) laufen und
Doppelt verblindet wurden, d.h. weder Studienteilnehmer*innen noch die behandelnden Studienauswerter*innen wissen, wer in der Behandlungs- und Kontrollgruppe war.
Dies ist für Medikamentenstudien mit Verabreichung einer weißen, geschmacklosen Tablette einfach. Aber wie wollen Sie verblinden, ob jemand einen Quarkwickel, Aromatherapie o.ä. bekommen hat? Studien kosten auch viel Geld, Naturheilmittel sind oft frei verfügbar und billig. Daher hatte in der Vergangenheit kaum jemand ein wirtschaftliches Interesse, eine „Quarkwickelstudie“ zu finanzieren.
Evidenz bei Heilpflanzen
Seitdem das Interesse der Bevölkerung für Naturheilverfahren gestiegen ist und es in einigen Universitäten (München, Berlin, Essen, …) Professuren und Lehrstühle für Naturheilkunde gibt, hat sich diese Situation deutlich verbessert. Für viele Behandlungsverfahren wie Fasten, Hydro- Bewegungstherapie, Akupunktur, Schröpfen, Blutegel und auch Heilpflanzen wie Teufelskralle, Lavendel, Johanniskraut u.v.m. konnte eine wissenschaftliche Evidenz bei verschiedenen Erkrankungen gesehen und Behandlungsempfehlungen in der Leitlinientherapie ausgesprochen werden.
Es ist also kein medizinischer Humbug, Naturheilverfahren einzusetzen. Denn wie schon im vorherigen Newsletter erklärt, fördern sie die Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung: ich selbst kann etwas tun, damit es mir besser geht! Damit wächst das Selbstvertrauen. Leid, Depressionen, Angst und Schmerz, als Folge erlernter und erlebter Unselbstständigkeit, können deutlich besser werden.
Und was kann ich selbst tun, damit es mir besser geht?
Aufgabe für Ihre Praxis der naturheilkundlichen Behandlung:
Überlegen Sie und schreiben Sie auf (Heft oder im PC): welche Verfahren kenne ich bisher und was hat mir bei welchen Symptomen, Erkrankungen, Verletzungen gut geholfen?
Bauen Sie sich einen „Notfallkoffer“ auf mit Dingen (Wickel, Auflagen, Entspannungs-CD, …) und Rezepten zur Behandlung Ihrer Beschwerden, den Sie dann im Bedarfsfall hervor holen können.
Gerne können Sie mit mir oder einem anderen Arzt / Ärztin mit naturheilkundlicher Erfahrung in der Praxis Ihre Auflistung und Erfahrungen besprechen.
Ihre Dr. med. Ulrike Korth
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