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Gruppentherapie? Nein, danke!

  • Writer: Dr. med. Wolfgang Vogell
    Dr. med. Wolfgang Vogell
  • Jul 25
  • 8 min read

Updated: Jul 26

Über das Aschenbrödel-Dasein der Gruppentherapie in der Therapielandschaft



Die Hypothesen oder Annahmen von PatientInnen lauten oft:


  • "In der Gruppentherapie habe ich keine Möglichkeiten meine Probleme anzusprechen."

  • "Da muss ich mir die Probleme von den Anderen anhören. Das ist mir zu viel."

  • "Ich schäme mich schon genug, In der Gruppe könnte ich Bekannte treffen, die sehen, dass ich in Psychotherapie bin."

  • "Deshalb warte ich lieber auf einen Platz in der Einzeltherapie, bevor ich mich auf eine Gruppentherapie einlasse."



Diese und viele andere Hypothesen zum Thema Gruppentherapie wurden mir von Patientinnen und Patienten vorgetragen als Grund für die Nicht-Teilnahme an einer Gruppentherapie. In der Praxis bedeutet das, dass nur die Erwähnung der Gruppentherapie bei 80% der Anfragen dazu führt : Nein, dann ist das nichts für mich.


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Wieso nehmen Menschen trotzdem an einer Gruppentherapie teil?


  1. weil ZuweiserInnen die Gruppentherapie als Teil eines multimodalen, interdisziplinären, intersektoralen Vorgehens beschreiben und die Patientinnen und Patienten aktiv auffordern  an der Gruppentherapie teilzunehmen.


  2. weil Patientinnen und Patienten gute Erfahrungen mit Gruppentherapie im stationären Rahmen gemacht haben.


Klarifizierungsprozess oder Vorüberlegungen: Was macht eigentlich eine Gruppe zur Gruppe?


Verbundensein (Kohärenz) kann über verschiedene Qualitäten entstehen und ist ein wesentlicher Bestandteil vom Gruppen-WIR-Gefühl.


  1. Spielregeln, die ich kenne, ermöglichen mir, mich als Teil der Gruppe zu fühlen.

  2. Wertschätzung meiner Person als willkommenes Gruppenmitglied ab der ersten Sekunde der Teilnahme an der Gruppe erleichtert den Einstieg.


In den Überlegungen von Aaron Antonowsky zur Salutogenese spiegeln sich diese Faktoren wider.


  • dem Gefühl der Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“), also der Überzeugung, dass das eigene Leben verstehbar, kognitiv klar und strukturiert (nicht chaotisch) ist.

  • dem Gefühl der Bewältigbarkeit („sense of manageability“), also der Zuversicht, dass die Anforderungen und Belastungen im Laufe des Lebens im Wesentlichen zu bewältigen sind.

  • dem Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“), also dem Grundgefühl, dass das eigene Leben sinnvoll ist und die auf einen zukommenden Anforderungen es wert sind, dafür Energie zu investieren.


Hieraus resultiert eine Gruppenatmosphäre, die sich dem „EEG der Herzensweisheit“ verbunden fühlt. Das „EEG der Herzensweisheit“ besteht aus


Herzensweisheit
Herzensweisheit

Erkenntnislust, auch auf die Gefahr hin enttäuscht zu werden, um aus der Klarheit in die Konsequenz zu gehen

Ehre, Wertschätzung mir und Anderen gegenüber

Gemeinschaft als gleichwertig und gleichberechtigt leben und erleben




Aus diesen Bausteinen entsteht ein Gruppengefühl um so leichter je niederschwelliger der Einstieg ist. Einfach gesagt: Beim ersten Treffen spüre ich, dass es den langjährigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern genau so ging wie mir und dass sie trotzdem geblieben sind aus der gelebten Erfahrung, dass Veränderung möglich ist: Dranbleiben. Pausen machen, Dankbar-Sein-Dürfen.

In der Gruppe profitiere ich von den Vor-Erfahrungen mit hilfreichem Vorgehen, das meine alten Gruppenmitglieder ausstrahlen ohne es konkret benennen zu müssen. Die Erfahrung eines ergebnisoffenen Vorgehens, der Umgang mit dem Scheitern, das Gefühl des ohnmächtig Ausgeliefertseins ist allen Gruppenmitgliedern bestens bekannt und führt schnell zu Solidaritätserleben.



Verifizierung der Hypothesen oder unter welchen Bedingungen sie richtig sind:


In der Gruppentherapie habe ich keine Möglichkeiten meine Probleme anzusprechen

Das kommt darauf an, wie das Gruppen-Setting gestaltet ist. Eine Möglichkeit ist „Das Einzel vor der Gruppe“. Wenn ich allerdings die Probleme unter Ausschluss Anderer besprechen möchte, stimmt das Argument.

Da muss ich mir die Probleme von den Anderen anhören. Das ist mir zu viel.

Das ist dann richtig, wenn über Probleme gesprochen wird. Es gibt Gruppen-Settings, die ohne Ansprechen von Problemen zu weitreichenden Veränderungen von nachhaltiger Qualität führen können.


Gruppentherapie
Gruppentherapie
Ich schäme mich schon genug In der Gruppe könnte ich Bekannte treffen, die sehen, dass ich in Psychotherapie bin.



Auch das ist richtig, wenn ich in der gleichen Gruppe bin wie eine Person, die ich kenne.

In den Vorgesprächen könnte geklärt werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Ich eine bekannte Person treffe und was zu tun ist, wenn das eintritt.

Deshalb warte ich lieber auf einen Platz in der Einzeltherapie, bevor ich mich auf eine Gruppentherapie einlasse.

Die Gruppenfähigkeit wird von der Gruppenleitung festgestellt und nicht von der Gruppenteilnehmerin oder dem Gruppenteilnehmer.


Dass keine Therapie besser ist als eine Gruppentherapie ist die Konsequenz aus meinem Entschluss, mich gegen eine Gruppentherapie zu entscheiden. Denn die Anzahl der Einzeltherapie-Plätze ist begrenzt.


Woran liegt das? Pro Tag kann eine Therapeutin maximal 9 Termine anbieten. Das bedeutet bei einer 5-Tage-Woche maximal 45 Therapie-Einheiten. Eine Gruppentherapie hat eine maximale Teilnehmerzahl von 9 Patientinnen und/oder Patienten. Bei einer 5 Tage-Woche mit 3 Gruppensitzungen pro Tag, das entspricht 6 therapeutischen Einheiten, ist die maximale Teilnehmerzahl pro Woche 135 Teilnehmer.

Der maximale Unterschied sind also 90 Therapieplätze pro Woche.

Die Gruppentherapeutin arbeitet hierfür allerdings nicht 45 Therapie-Stunden sondern nur 30 Therapie-Stunden. Würden 10 Therapeutinnen nur eine Gruppe pro Woche anbieten, wären das 90 Therapie-Einheiten mehr. Es könnten also 90 Patientinnen und/oder Patienten mehr pro Woche versorgt werden.


Gruppentherapie? Unbedingt!
Gruppentherapie? Unbedingt!

Falsifizieren der Hypothesen oder was auch richtig ist:


In der Gruppentherapie habe ich keine Möglichkeiten meine Probleme anzusprechen.

Wie oben beschrieben gibt es Gruppen-Settings, in denen ich meine Probleme vortragen kann. Die Frage ist, ob es notwendig ist, Veränderung über Lösungswege herbeizuführen oder ob es auch andere Vorgehensweisen gibt, die Veränderungen bewirken.

Offensichtlich gibt es Veränderungen, die mir geschenkt werden, ohne dass ich den Lösungsweg kenne, wie das Altern. Ich altere jeden Tag, einfach so. Für manche Menschen ist dies ein Geschenk, auf das sie gerne verzichten würden.


Wie wäre es mit Schlaf. Will ich den Schlaf als Geschenk nicht haben? Menschen, die an Schlaflosigkeit leiden, werden heftig widersprechen. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als gut schlafen zu können. Wenn ich von Gruppenmitgliedern glaubhaft erfahre, dass sie die Erfahrung der Überwindung von Schlaflosigkeit gemacht haben, steigt meine Zuversicht der Bewältigbarkeit („sense of manageability“).


Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“) wird als Verstehen-Müssen, um Einverstanden-Sein-Zu-Können, abgelöst vom Sich-Verstanden-Fühlen und deshalb Einverstanden-Sein-Dürfen. Damit bekommt die Überzeugung, dass das eigene Leben verstehbar, kognitiv klar und strukturiert (nicht chaotisch) ist, eine neue Dimension.

Dies geschieht ganz ohne Worte in der Gruppe durch die Ausstrahlung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.


Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“), also dem Grundgefühl, dass das eigene Leben sinnvoll ist und die auf einen zukommenden Anforderungen es wert sind, dafür Energie zu investieren, hilft mir mit der Glaubenskrise aus dem Erleben des Scheitern anders umzugehen. Denn in der Solidarität der Gescheiterten bin ich bereit mich überraschen zu lassen vom Schönen im Leben, das mich immer umgibt, auch wenn ich es nicht wahrnehme.

Da muss ich mir die Probleme von den Anderen anhören. Das ist mir zu viel.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass es nicht notwendig ist, über Probleme zu reden, um Veränderungen herbeizuführen.


Allerdings ist es sehr hilfreich zu wissen, was ich will.


Sonst kann ich nicht feststellen, dass ein Wunder passiert ist und alles, was ich wollte, sich erfüllt hat. Wer genau weiß, was sie/er will, bekommt eher, was sie/er braucht, weil sie /er erkennen kann, dass es genau vor mir steht.


Durch die Visualisierung unserer Wünsche schaffen wir neue Realitäten, die ohne diese Visualisierung niemals real geworden wären.


Wenn niemals das Bild einer Frau, die in der Öffentlichkeit Reden hält, visualisiert worden wäre, gäbe es bis heute keine Frauen, die in der Öffentlichkeit reden halten. Architektur kann nur aus der Vorstellungskraft des Menschen kreative Erneuerung bringen ebenso bildende Kunst und Musik. Ein Spiel wie „Nobody is perfect“ musste vom Spiele-Erfinder Bertram Kaes phantasiert werden, um vom Ravensburger Spielverlag vermarktet werden zu können. Dabei wählte Bertram Kaes den Weg, nicht die Lösung als Gewinnbringer in den Fokus des Spiels zu stellen wie bei Trivial Pursuit (engl. trivial alltäglich, belanglos  Allgemeinwissen), sondern die Überzeugungskraft, dass es genau so ist, wie ich es sage.

Ich schäme mich schon genug. In der Gruppe könnte ich Bekannte treffen, die sehen, dass ich in Psychotherapie bin.

Vermeidung erhöht Scham und macht mich erpressbar. Das Leiden am Leid wird potenziert durch das Verbot zu leiden. Im Hawaianischen Vergebungsritual Ho’oponopono (wird „ho-o-pono-pono” ausgesprochen) gibt es ein vierschrittiges Vorgehen, das von Eins nach Vier oder von Vier nach Eins gelebt werden kann.


Die vier Schritte lauten:

1. Satz: Es tut mir leid (, dass …) Sprichst du diesen Satz aus, erkennst du an, dass du etwas getan hast, was nicht richtig war – du übernimmst Verantwortung. Vielleicht hast du die Situation nicht per se verursacht, aber zumindest dazu beigetragen, dass sich bisher noch nichts verändert hat.


2. Satz: Bitte verzeih mir (, dass …)

Auf eine Entschuldigung folgt die Bitte um Vergebung: dir selbst oder anderen.


3. Satz: Ich liebe dich (und ich liebe mich, auch wenn …)

Durch diesen Satz schenkst du dir und/oder der anderen Person oder Situation deine bedingungslose Liebe. Diese Liebe bleibt unberührt davon, welche Konflikte dazwischen stehen. Dieser Schritt ist meistens der schwierigste.


4. Satz: Danke (, dass ich willkommen bin, mit all diesen Seiten.)


Dieser Schritt gehört fest in das Vergebungsritual, denn die Wertschätzung der Vergebung ist ein wichtiger Aspekt auf dem Weg zum Loslassen. Du und/oder die andere Person oder Situation hat dir einen großen Beitrag geleistet: Du durftest lernen und wachsen. Danke auch dir selbst, dass du dir den Raum und die Zeit dafür gegeben hast.

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Diese Vorgehensweise erinnert an die SPIN-Analyse. Das Akronym steht für

Situationsbeschreibung

Problembewusstsein

Induktion/Idee/Inspiration

Nutzen


Auch hier ist es hilfreich, das Vier-Schritte-Programm rückwärts laufen zu lassen. Es ist für mich von großem Nutzen, wenn ich mich so lieben kann, dass ich mir verzeihen kann, dass ich daran leide, mich zu schämen. In Antoine de Saint-Exupéry´s kleinen Prinzen wird dieses Vorgehen als Erklärungsmuster für das Trinkverhaltens des Säufers beschrieben. “Der kleine Prinz kam zu einem Säufer. Der Mann saß stumm vor einer Reihe voller Flaschen. Am Boden lagen viele leere Flaschen. „Was machst du?“, fragte der kleine Prinz. „Ich trinke“, antwortete der Säufer. „Warum trinkst du?“, wollte der kleine Prinz wissen. „Um zu vergessen“, antwortete der Säufer. „Was willst du vergessen?“, erkundigte sich der kleine Prinz. „Ich will vergessen, dass ich mich schäme“, sagte der Säufer. Er senkte den Kopf. „Weshalb schämst du dich?“, fragte der kleine Prinz. Er dachte: Vielleicht kann ich dem Mann helfen. „Ich schäme mich, dass ich saufe“, rief der Säufer. Dann schwieg er. Der kleine Prinz war ganz traurig geworden. Er merkte, dass er dem Mann nicht helfen konnte.“

Hier kann die Gruppe eine große Chance sein aus dem Karussell der Vermeidung auszusteigen und sich den eigenen Ängsten zu stellen.


Deshalb warte ich lieber auf einen Platz in der Einzeltherapie, bevor ich mich auf eine Gruppentherapie einlasse.

Für Jemanden, der keine strenge Therapie-Indikation besitzt, mag dieser Satz richtig sein (siehe oben), für alle Anderen nicht. Psychotherapie ist keine Luxusware, die ich mir gönne oder auch nicht, sondern eine volkswirtschaftlich entscheidende Größe um Langzeit-Arbeitsunfähigkeiten zu vermeiden.

Im Rahmen der Gruppentherapie führt jeder investierte Euro zu 5 Euro Ersparnis, im Rahmen der Einzeltherapie  zu 3 Euro Ersparnis. Langzeit-Arbeitsunfähigkeiten sind heute der größte Ausgabe-Posten der gesetzlichen Krankenkassen.

Durch eine erfolgreiche Psychotherapie verursachen Patientinnen und Patienten auf Dauer weniger Kosten und entlasten somit die Solidargemeinschaft. Denn es kommt seltener zu schweren Chronifizierungen und Präsentismus (Verhalten von Arbeitnehmern, die trotz Krankheit meist aus Angst vor Arbeitsplatzverlust am Arbeitsplatz sind). Werden nicht spätestens nach 8 Wochen nach erfolgreich durchgeführter stationärer Reha-Maßnahme im ambulanten Rahmen Therapien fortgeführt, verliert sich der Reha-Effekt.


Neben den volkswirtschaftlichen Auswirkungen gibt es im Rahmen des Chronifizierungsprozesses die Etablierung des Ohnmächtig-Ausgeliefertseins-Gefühls, die Erfahrung des Zurückgewiesen-Werdens und einer massiven Abnahme von Selbstwirksamkeit (Selbstwirksamkeitserwartung (englisch self-efficacy), kurz SWE, bezeichnet das Vertrauen einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in Extremsituationen erfolgreich selbst ausführen zu können. Ein Mensch, der daran glaubt, selbst etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, hat demnach eine hohe SWE).

Hier sei nochmals auf Antonowsky verwiesen und sein Gefühl der Bewältigbarkeit („sense of manageability“), also der Zuversicht, dass die Anforderungen und Belastungen im Laufe des Lebens im Wesentlichen zu bewältigen sind.

Gruppentherapie kann über die alten Hasen mit mehrjähriger Therapie-Erfahrung den therapeutischen Prozess glaubhaft spürbar machen und so Selbstwirksamkeit, das Gefühl der Bewältigbarkeit stärken und Mut machen fürs Dran bleiben, Pausen machen (vom Sich-Sorgen-Machen) und Dankbar-Sein-Dürfen.


Die Gruppe hält zusammen
Die Gruppe hält zusammen

Fazit:

Die Gruppenpsychotherapie ist ein wesentlicher Baustein in der Behandlungslandschaft, der bisher im ambulanten Behandlungs-Setting selten benutzt wird. Hierfür gibt es vielschichtige Gründe.

Neben der fehlenden Bereitschaft der Patientinnen und Patienten an einer Gruppentherapie teilzunehmen ist auch die Bereitschaft von niedergelassenen Kassen-Psychotherapeutinnen sehr gering, Gruppentherapien anzubieten. So liegt der Anteil der Gruppentherapien an allen Therapien bei unter 5%.


Daraus resultiert ein Rück-Stau bei Therapieplatz-Anfragen und lange Wartezeiten. Eine große Entlastung könnte über die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie geschaffen werden, bei der die Patientinnen und Patienten 4mal im Monat in die Gruppe und 1mal in die Einzeltherapie gehen. So stünden 4 weitere Einzeltherapieplätze zur Verfügung ohne dass jede Therapeutin eine Gruppe machen müsste. Hierbei sollte die Beschränkung auf eine Kombi-Therapie in einem Verfahren aufgehoben werden und eine verfahrensübergreifende Kombi-Therapie zum Beispiel systemische Gruppenpsychotherapie und verhaltenstherapeutische Einzeltherapie zugelassen werden, um den Stand der heutigen Therapie-Evidenz-Forschung gerecht zu werden und die Anzahl der Kombi-Therapien deutlich zu erhöhen.


Wir aus unserer langjährigen Erfahrung meinen also:

Gruppentherapie? Ja, unbedingt!


Ihr Dr. med. Wolfgang Vogell

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